Das Kleid war mir egal. Mir war es wichtig, die weißen Schuhe zu tragen, die von meiner Hochzeit. Ich habe sie in der letzten Ecke des Schranks gefunden. Sie waren noch in dem Seidenbeutel, in dem ich sie kaufte. Sie hatten die Farbe des Mondes an wolkenlosen Abenden. Ich habe mich sofort in sie verliebt, als ich sie sah, und habe sie über fünfzig Jahre lang behalten. Ich bin froh, dass ich keine Töchter habe, die sie hätten erben müssen. Auf diesen Absätzen fing ich an, mit dir zu gehen, mein lieber Alter.
Bevor ich aufbrach, schaute
ich noch ein letztes Mal in den Spiegel. Ich bemalte meine Lippen mit dem
weinroten Lippenstift, den mein Mann so sehr mochte. Ich holte mir die
Einladung und beschloss, zu Fuß zu gehen. Es war lange her, dass ich in der
Festlichen Konkordie – dem Tanzsaal gewesen war.
Erinnerst du dich daran?
Wir haben dort unsere goldene Hochzeit gefeiert, genau fünf Monate bevor du von
uns gegangen bist. Das ist also die erste Party, auf die ich allein gehe, ohne
mich an deinen Arm zu lehnen, ohne über jeden Witz und jede wilde Idee von dir
zu lachen.
Welch wunderbares Licht
entweicht durch die Fenster der Konkordie! Schon höre ich den Lärm der Musiker
und das ungestüme Echo der Gäste, die sich dort vergnügen.
—Darf ich um Ihre Einladung
bitten, Madame? -, fragt mich ein junger Mann am Eingangstor.
Du solltest sein Gesicht
sehen, mein lieber Alter, er sieht aus wie ein Engel, der vom Himmel
herabgekommen ist.
—Hier ist sie, mein Sohn,
antworte ich und reiche ihm den Zettel.
—Tisch Nummer 16. Ein
ausgezeichneter Ort für eine so elegante Dame —lobt mich der Grünschnabel und
weist mich an, nach rechts zu gehen.
Mein Tisch steht direkt vor
dem Fenster. Der perfekte Platz zwischen dem hellen Licht der Kronleuchter und
dem dunklen Samt des Himmels hinter der Scheibe. Der runde Tisch ist wie für
Könige gedeckt, und es sind nur zwei Stühle aufgestellt. Ich nehme den Platz,
der den Spiegeln an der Wand am nächsten ist.
Von dort aus sehe ich die
Nacht und die Sterne und spüre, dass du tief im Innern noch nicht weg bist,
alte Liebe.
Diesmal gieße ich mir selbst
ein. Es ist einer der exquisitesten Weine, die ich je probiert habe.
Du wärst von dem
Geschmack in Ohnmacht gefallen, mein lieber Alter.
Und bevor ich den nächsten
Schluck nehme, sehe ich einen weiteren Gast lächelnd kommen.
Ich glaube nicht, dass ich so
schnell betrunken bin. Der Mann, der nach dem zweiten Stuhl greift ist Samuel
Coronado persönlich. Plötzlich bin ich wieder sechzehn, und ich spüre den
ersten Kuss wie Tau auf meinen Lippen.
—Esther, meine Kameliendame.
—Samuel!
Wie lange ist es her, wie
viele Jahre habe ich nicht mehr in seine süßen, honigfarbenen Augen meiner
goldenen Träume geschaut?
—Aber… aber du… Du…
—Bin ich tot? Nein, schöne
Esther, ich bin nur in einer anderen Zeit.
Noch einmal spüre ich das
Streicheln seiner Hand an meinem Arm, und ich kann den Seufzer kaum
zurückhalten, der sich gegen meine Verzückung sträubt.
Ich verstehe kaum, was
passiert, und dann tauchst du auf, mein lieber Alter.
—Altes Weib! —sagst du zu mir
mit dieser Stimme, die klingt wie das lachende Lied eines Baches in der
Morgendämmerung.
Ich höre dich. Ich sehe
dich, lieber Alter!
Tränen nehmen den Seufzer
weg. Sie trüben meine Augen und benetzen meinen Schmerz, der zu Erinnerung
geworden ist.
Du weißt nicht, wie sehr
ich dich vermisst habe!
Und plötzlich werde ich
still. Schweigen ist das Einzige, was mir bleibt.
Ich sehe sie beide. Und ich
fühle mich so absurd und in die Hilflosigkeit geworfen.
Der junge Mann an der Tür
nähert sich beflissen.
—Es ist Zeit für die
Ewigkeit, Esther —verkündet er, als wäre es ein Preis. Ich ahne, was auf mich
zukommt, meine Zunge ist gelähmt, verborgen in den Tiefen meines Mundes.
—Es ist Zeit für die
Wahrheit, Zeit eine Entscheidung zu treffen —fährt er fort.
Die Liebe deines Lebens oder der Mann, der dich trotz aller Widrigkeiten geliebt hat.
___
Dieser Text wurde auf der Lesung "Brechungen" der Literatenrunde e.V. in Karlsruhe im Rahmen der Literaturtage Kalsruhe 2021 gelesen (Buchhandlung Hoser & Mende, 5. Oktober 2021).
Die spanische Fassung kann unter diesem Link eingesehen werden.
Comentarios
Publicar un comentario