Die Festtage
näherten sich mit beeindruckender Geschwindigkeit und der Gedanke an die
Bescherung am Weihnachtsabend machte Manuel nervös. Wie jedes Jahr fehlte es
ihm an Ideen für ein Geschenk für seine Frau.
„Wie schwierig es
ist, etwas auszusuchen!“, murmelte er. Wenn er darüber nachdachte, was Alicia vielleicht
gerne hätte, verwandelte sich sein Kopf in einen dunklen leeren Raum.
An dem Adventskalender,
den ihre Kinder ihnen in diesem Jahr geschenkt hatten, war bereits die Hälfte
der Türchen geöffnet. Jedes Mal, wenn Manuel eine kleine Schokoladenfigur herausnahm,
kam ihm das verflixte Geschenk wieder in den Sinn. Eines Nachts war es besonders
schlimm. In einem Alptraum wurde er von einem riesigen Geschenk verfolgt, das
ihn vernichten wollte. Der arme Mann wachte schweißgebadet und aufgewühlt auf.
Er nahm einen Schluck Wasser und drehte sich um, um seine Frau anzusehen.
Alicia schlief wie ein Baby, sorglos und ruhig.
„Ich bin sicher,
dass sie mein Geschenk schon gekauft hat“, murmelte er und zog das Kissen über
sein Gesicht.
Seine
Verzweiflung wuchs, und wie jedes Jahr machte er eine Liste der verschiedenen
Optionen:
- Eine Handtasche
- Schuhe (obwohl
es besser wäre, wenn sie sie anprobieren würde)
- Eine Porzellanfigur
- Bücher
- Eine Massage
- Juwelen
- Ein schöner
Rosenstrauß (wie jedes Jahr, oh, wie langweilig!).
Die Liste war
lang, aber nichts überzeugte ihn. Alicias Kleiderschrank war voll mit
Handtaschen und Schuhen. Die meisten von ihnen waren Tanzschuhe. Sie und Manuel
liebten das Tanzen und keiner von beiden konnte sich einen besseren Partner für
Tango, Milonga oder Cha-Cha-cha vorstellen.
Eine
Porzellanfigur? Das Wohnzimmer sah schon aus wie ein Museum! Die Figuren waren
Andenken an ein ganzes Leben voller Reisen und Wanderungen, zunächst als
weltreisendes Single-Paar und dann als Familie, die nach Orten in der Natur
suchte, an denen ihre Kinder herumtollen konnten, später wieder zu zweit.
Auch ihr
Bücherschrank war voller Bücher und Manuel fiel kein gutes Buch für seine Frau ein,
denn Alicia war eine unersättliche Leserin und es war sehr schwierig, sie mit
etwas "Neuem" zu überraschen. Und eine Massage für eine Frau über 70
schien auch nicht das beste Geschenk zu sein, zumal er selbst der offizielle
Masseur der Familie war.
Schmuck kam nicht
infrage. Abgesehen von ein paar Ohrringen war der einzige Schmuck, den Alicia
seit mehr als vierzig Jahren trug, ihr Ehering.
Am Wochenende vor
Heiligabend reisten die Kinder an. Oscar und Andrea kamen mit ihren Familien
und mit Geschenken beladen. Manuel hatte den Eindruck, dass diese perfekt
verpackten Pakete in glänzendem Papier und mit riesigen Schleifen ihn
beobachteten.
Alicia freute
sich über den Besuch, vor allem über die Anwesenheit ihrer Enkelkinder, fünf
lachende und schelmische Zwerge, die im ganzen Haus Unordnung und Hektik
verbreiteten.
Während Alicia,
ihre Tochter und ihre Schwiegertochter in der Küche Kaffee kochten,
betrachteten Oscar und sein Schwager wieder einmal Manuels alten roten
Chevrolet in der Garage.
Manuel nutzte
diese Minuten der Ruhe und setzte sich ins Wohnzimmer, um die Zeitung zu lesen.
Sein jüngster Enkel, Felipe, kam auf ihn zu und bat ihn, ihm eine Geschichte
vorzulesen.
„Aber es muss
eine Weihnachtsgeschichte sein“, ermahnte er ihn und wedelte mit dem kleinen
Zeigefinger in der Luft.
Manuel nahm eines
der Bücher, die er im Wohnzimmer im Regal stehen hatte: „Das Geheimnis des
vierten Weisen“. Felipe hörte aufmerksam zu, es war eine seiner liebsten
Weihnachtsgeschichten. Als sein Großvater mit dem Lesen fertig war, drückte der
kleine Junge wie immer seine spitze Nase zu und wartete darauf, dass Manuel
sich in das Kitzelmonster verwandelte, das seinen Bauch und die kleinen Finger
an seinen Händen verschlang.
Während sich
Großvater und Enkel eine epische Kitzelschlacht lieferten, schaute Alicia lächelnd
von der Küchentür aus zu. Als der kleine Junge seinen Großvater zurückließ,
ganz außer Atem vor Lachen und Spielen, sagte Alicia zu Manuel:
„Mein lieber
alter Mann, du brauchst dir nicht jedes Jahr den Kopf zu zerbrechen, was du mir
schenken könntest. Alles was ich brauche, gibst du mir jeden Tag. Und du weißt
ja, dass Rosen meine Lieblingsblumen sind.“
***
Diese Kurzgeschichte gewann den dritten Platz im Weihnachtswettbewerb der Karlsruher Literarischen Gesellschaft. Die spanische Fassung kann man hier lesen.
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